Ein Gastbeitrag / Erfahrungsbericht von Frank:

An einem lauen Dienstagnachmittag ging meine alleinlebende Schwiegermutter zu einer Routineuntersuchung bei einem örtlich ansässigen Arzt. Sie klagte seit Wochen über starke Kopfschmerzen bis hin zu Schwindelanfällen.

Beim Arzt angekommen wurde Sie vielerlei Untersuchungsprozeduren unterzogen, bis man auf die Vermutung einer verstopften Halsschlagader kam. Die anwesenden Ärzte verordneten eine dringliche Überlieferung meiner Schwiegermutter in die Universitäts-Kopfklinik nach Heidelberg.

Selbst Auto fahren dürfe sie nicht mehr, das müsse über das Rote Kreuz geschehen. Sie stünde unter akuter Schlaganfallsgefahr. Gesagt getan, nach einiger Wartezeit rollte ein Krankentransport des Roten Kreuzes an und sie wurde nach Heidelberg gefahren.

Dort angekommen legte man ihr als allererstes einen Zugang an den Arm und setzte Sie auf den Gang in der Notfallaufnahme. Eine Schwester nahm den Fall auf und trug dies in eine Liste ein. Eine Ärztin fragte meine Schwiegermutter nach ihrem Befinden und wies sie danach darauf hin, dass sie warten müsse. Der Zeitpunkt der Ankunft war 15:00 Uhr.

Während ich noch auf der Arbeit saß, rief mich meine Frau an und schilderte mir den dringlichen Fall und den Verdacht auf einen bevorstehenden Schlaganfall. Ich sprach kurzer Hand mit meinem Chef, der mich sofort nach hause schickte. Ich kann von Glück reden, dass ich in einer so toleranten Firma arbeite.

Daheim angekommen packten wir auf die Schnelle die wichtigsten Dinge ein, stiegen ins Auto und fuhren in den über 100 km entfernten Heimatort unserer Schwiegermutter und Mutter. Wir verständigten während der Fahrt schon die Brüder meiner Frau und meine Eltern.

Im Heimatort angekommen packten wir alle für einen Krankenhausaufenthalt nötigen Sachen ein, stiegen wieder ins Auto und fuhren nach Heidelberg, welches wir nur auf der üblichen Neckarstrecke zu erreichen vermochten. Dementsprechend langsam ging die Fahrt voran. Nach über 50 km und über einer Stunde weiterer Fahrtzeit kamen wir dann um ca. 19 Uhr in der Kopfklinik in Heidelberg an. Wir vermuteten meine Schwiegermutter bereits in einem Behandlungsraum oder auf einer Station.

Als wir am Empfang fragten, konnte uns keiner so richtig Auskunft geben. Unser Verdacht, sie befände sich wahrscheinlich immer noch auf der Notfallaufnahme, bestätigte sich leider. Angekommen in der Notfallaufnahme saß sie im Gang, zwischen weiteren Notfällen und wartete geduldig. Für mich war dies schon ein Schreckensbild.

Nachdem ich mich über die bisherigen Geschehnisse erkundigt hatte, teilte sie mir mit, dass die einzige Maßnahme der Ärzte bzw. Schwestern der Zugang am Arm gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon stinksauer gewesen. Ich klopfte an der Aufnahme der Notfallstation. Man ignorierte mich.

Ich klopfte ein weiteres Mal. Diesmal wandte man mir immerhin einen Blick durch den verglasten Bereich zu. Ich öffnete die Tür und fragte, was sie gedenken würden mit meiner Schwiegermutter zu tun und ob dies normal sei, dass sie Sage und Schreibe 4 Stunden ohne Essen und Trinken im Gang sitzen müsse. Man teilte mir in gelassenem Ton mit, dass zu wenig Personal vorhanden sei und man eben warten müsse. Man priorisiere hier die Fälle und meine Schwiegermutter sei einer niedrigen Priorität zugeordnet worden. Ich bat die Schwester höflich darum, doch mal eine Ärztin (welche schon die ganze Zeit in dem Aufnahmeraum stand und sich nicht sonderlich im Stress befand) danach zu fragen und mir Bescheid zu geben.

Nun war es an der Zeit für meine Schwiegermutter endlich Essen und Trinken zu besorgen. Da eine Vermutung auf einen Schlaganfall meine über 70 jährige Schwiegermutter, welche ohnehin Probleme mit Blutdruck, Vorhofflimmern und etliche andere Leiden hat –die die Ärzte dort kannten, denn sie hatten ja die Akte von ihr!- , daran hinderte sich auf die Suche nach Nahrung oder einem Tropfen Wasser zu machen, erkundigten wir uns nach den Möglichkeiten.

Am Empfang schüttelte man nur unwissend den Kopf. Hier im Umkreis gäbe es keine Möglichkeit Essen oder Trinken zu bekommen. Der Kiosk im Krankenhaus hatte bereits seit längerer Zeit geschlossen. Man könne sich ja Pizza ins Krankenhaus bestellen, eine Telefonnummer müsse man sich allerdings selbst raussuchen.

Drei Automaten existierten im Krankenhaus. Der eine Automat lieferte nur Schokoriegel. Der andere nur heiße Getränke. Der wiederum andere nur kalte Getränke (Cola, Fanta etc.). Einen Kaffee zur Stärkung wäre nun nicht schlecht gewesen. Ich warf einen Euro in den Automat, er spuckte ihn prompt wieder aus. Ich warf ein 2-Euro-Stück in den Automaten und probierte mich mit 50-Cent-Münzen , jedoch alles ohne Erfolg. Der Automat war kaputt. Er nahm nur noch 5-, 10- und 20-Cent-Münzen an. Der Empfang konnte natürlich auch nicht wechseln, also hangelte ich mich von Patient zu Patient um etwas Geld klein zu kriegen.

Nachdem wir nun einen Kaffee und einen Tee organisiert hatten, fuhren wir zu einer entfernten Tankstelle um den Rest an Marzipan- und Schokocroissants und ein paar Bifis leer zu kaufen. Mit dieser wohlschmeckenden und nahrhaften Mahlzeit bewaffnet, fuhren wir wieder zurück ins Krankenhaus, wo unsere Schwiegermutter und Mutter immer noch total fertig und müde im Gang saß.

Es war mittlerweile 21 Uhr. Zwischenzeitlich unterhielt ich mich mit einer Dame, die auf dem Gang am Bette ihrer Mutter stand. Sie hatten die alte Frau, die m.E. Ende 80 gewesen sein musste, um 14:30 Uhr mit einem Krankenwagen von einem anderen Krankenhaus eingeliefert um sie zu untersuchen. Seit 14:30 Uhr (!!!!) lag die arme, alte Frau in ihrem Krankenhausbett im Gang, klagte alle paar Minuten über Schmerzen in den Beinen und über Atemschwierigkeiten. Die Tochter meinte, sie würden auf einen freien Krankenwagen warten müssen, damit ihre Mutter in ein anderes Krankenhaus verlegt werden könne. Dies sei eine Anweisung der Heidelberger Ärzte. Wir gaben der alte Dame eine Flasche Wasser und einen Schokocroissant, damit sie wenigstens in dieser Hinsicht minimal versorgt war.

Zumindest der alten Dame ging es nun, auch wenn ich kein Arzt war, etwas besser.

Zwischenzeitlich fragte die Tochter immer wieder nach, ob denn nun ein Krankenwagen käme, man gab ihr zu verstehen, dass man für ganz Heidelberg gerade mal 3 Krankenwägen besäße und diese ständig unterwegs seien. Da blieb mir fast der Atem stocken. In Heidelberg will ich keinen Notfall haben. Da verblute ich wahrscheinlich in meiner Wohnung bevor die überhaupt zur Eingangstür reinkommen.

Nun war es 22:30 Uhr, ich hatte ca. jede Stunde eine Ärztin oder eine Schwester mit meinen Fragen genervt. Ohne Erfolg. Man habe nur 2-3 Ärzte für die Notfallstation und diese müssen sich auch noch um ihre jeweiligen Stationen kümmern, es ginge nicht schneller.

Während unserer Wartezeit kamen noch einige Schwerverletzte ins Krankenhaus und einige mit niedrig priorisierten Verletzungen. So klagte der eine über Zahnschmerzen und der andere hatte Verbrennungen am Arm. Von der kleinen Verletzung am Schädel bis hin zu lebensgefährlichen Verletzungen (O-Ton Ärztin: „Herr und Frau XY, ihr Sohn hat es überlebt“) bekamen wir an diesem Abend alles geboten.

Meine Schwiegermutter war sichtlich erschöpft und geschafft. Wie lange wir wohl noch warten müssten?

Um 23:30 Uhr, nach 8,5 Stunden Wartezeit ohne einen jeglichen Bescheid, wurde sie dann endlich aufgerufen. Man brachte sie in einen Behandlungsraum. Nach ca. 10 Minuten, wovon sich ca. 4-5 Minuten ein Arzt um sie kümmerte, kam sie zusammen mit meiner Frau wieder in den Gang. Man teilte ihr mit, und nun halte man sich fest, dass sie am darauf folgenden Morgen –egal wie- um 7:30 Uhr wieder zu erscheinen habe. Dazu drückte man ihr einen Zettel in die Hand und entfernte ihr den Zugang am Arm, der so unnötig die ganze Wartezeit darin verweilen musste. In diesem Moment hätte ich am Liebsten laut geschrien, der Ärztin eine geklebt oder etwas sinnlos zerstört, doch wir machten uns auf den Heimweg.

In dieser Nacht fuhr ich noch über 50 km mit meiner Frau und unserer Schwiegermutter und Mutter zurück in den Heimatort, danach machte ich mich auf den Weg nach hause (weitere 100 km) und kam dann ca. 03:30 Uhr in der Nacht daheim an um am gleichen morgen zur Arbeit zu gehen. Meine Frau stand mit meiner Schwiegermutter am gleichen morgen um 5 Uhr (nach ca. 2-3 Stunden schlaf) auf und sie fuhren gemeinsam nach Heidelberg zur stationären Untersuchung, wo sie nach weiteren 5 Stunden Wartezeit endlich an der Reihe war.

Armes Deutschland, was ist nur mit dir geschehen?

An dieser Stelle vielen Dank an Frank für diesen sehr interessanten Erfahrungsbericht aus der Notaufnahme einer etablierten Universitätsklinik!